My Big Fat Guatemalan Wedding

Ein Dutzend Lifehacks zum Thema: Wie finde ich mich auf einer guatemalischen Hochzeit zurecht?


Ich habe 10 Tage bei einer guatemalischen Familie gewohnt als ich in San Pedro Spanischunterricht genommen habe. Ich teilte meine Gastfamilie mit Sjanna, einer Holländerin, die derzeit auch in der Weltgeschichte umherschwirrt.

Der krönende Abschluss dieses Aufenthalts war die Einladung der Familie zur Hochzeit ihres Neffen. Ich freute mich tierisch darauf, die Hochzeit einer anderen Kultur mitzuerleben! Andere Länder haben bekanntlich andere Sitten und darum will ich dir deine Fragen beantworten, die dir sicherlich auf der Zunge brennen, damit auch du auf einer guatemalischen Hochzeit zurechtkommst, auch wenn du auffallen wirst wie ein bunter Hund.

Frage 1: Was ziehe ich nur an?


Felix, Francela, 2 Schwestern im Hintergrund, ich und Felix Junior
Felix, Francela, 2 Schwestern im Hintergrund, ich und Felix Junior

Anstatt sich wochenlang zuvor schon verrückt und alle Geschäfte im Umkreis unsicher zu machen, macht man sich hier keine Gedanken um die Kleiderfrage. Felix, mein Gastvater, meinte, „mach dir keinen Stress, zieh einfach an, was du willst.“ Und das war der beste Tipp ever. Viel Auswahl hat man als Backpacker sowieso nicht, also schlüpfte ich in mein Kleid und beschuhte mich mit meinen allerschönsten Flip Flops.

Morgens um 6 Uhr standen wir alle versammelt vor der Tür und warteten auf den Bus. Zum Glück hatte ich auf Felix gehört und mir mit dem Outfit nicht zu viel Mühe gegeben. Niemand war auch nur ansatzweise herausgeputzt: Felix und Felix Jr. trugen Jeans und Poloshirt und Francela, die Gastmama, hatte die typisch guatemalische Kleidung an, die die Frauen hier täglich tragen. Weil alle so legere kamen, fühlte ich mich nicht underdressed in meinen fancy Plastikschuhen. 

Frage 2: Wie reise ich an?


Eines ist fürs Reisen wichtig: gewöhn dich ans Kuscheln mit fremden Menschen und sorg für ordentliches Sitzfleisch, denn eng und holprig ist es fast immer, wenn man hier reist.

Der Shuttle kam und war bereits voll besetzt mit anderen Verwandten. Die Prozedur ist mir bekannt, also kurz in den Kuschelmodus umgeschaltet und rein in den Bus.

Frage 3: Wann wird gespeist?


Eigentlich so gut wie immer. Du wirst keinesfalls verhungern und in jedem Land sorgt man sich um das leibliche Wohl seiner Gäste.

Nach zwei sehr holprigen Stunden hielten wir fürs erste Frühstück an einem wunderschönen Aussichtspunkt. Wie in Guatemala üblich, gab es Bohnen, Reis und Tortillas. In Guatemala isst jeder Mensch zwischen 6 und 15 Tortillas am Tag und hartgesottene Profis essen auch schon mal 30(!!!) ....Ich muss noch ein wenig üben, um über die 3 Tortillas zu kommen, die ich mit viel Müh, Not und Appetit verputzte.

schöner Ort für ein kleines Picknick
schöner Ort für ein kleines Picknick

Frage 4: Wie assimiliere ich mich in die Hochzeitsgesellschaft?


Nicht vergessen: Andere Länder, andere Sitten! Auch wenn man sich ein Stück weit an die vorgelebten Regeln anpassen sollte, würde ich dennoch jedem zu Contenance raten und nicht alles nachahmen, das man sieht.

Ich war gerade fertig mit meiner zweiten Tortilla und wir wollten wieder weiter, als ich es plötzlich neben mir plätschern hörte. Neugierig linste ich zur Seite und….. traute meinen Augen nicht: 2 Meter neben mir saß meine Gastmutter in der Hocke und pinkelte ohne Scham vor versammelter Mannschaft. OK: macht nichts, dachte ich mir, tu so als sei nichts und versuch cool zu wirken. Immerhin ist mit dem Rock jetzt noch ein Geheimnis gelüftet worden: Ich weiß nun, warum die Frauen hier so weite Röcke tragen und dass sie drunter sonst wohl nichts mehr anhaben. Retrospektiv wird mir auch klar, warum ich zwischen all der Wäsche, die hier immer zum Trocknen hing nie Unterwäsche entdecken konnte….. (ich fühle mich gerade ein bisschen wie Wiki der Wikinger, dem ein Licht aufgeht…) aber ich schweife ab. Auch wenn mir meine Verwirrung nicht anzumerken war – und davon bin ich überzeugt – wären alle anderen wahrscheinlich sehr irritiert gewesen, wenn ich es meiner Gastmutter gleichgetan hätte.

kleine Ration Tortillas auf dem Tisch für ca. 8 Personen
kleine Ration Tortillas auf dem Tisch für ca. 8 Personen

Nachdem wir alle gesättigt und erleichtert waren, stopften wir uns wieder in den Bus und kamen nach einer weiteren Stunde Bus-Straßen-Wilde-Maus-Karussell-Fahrt in der Nähe der Costa Azul an, am Haus des Bräutigams. Touristen verirren sich hier auf jeden Fall nicht hin. Und hier gab es … noch mehr Frühstück, noch mehr Tortillas, Bohnen, Reis und Ei und viele Schweine, Hühner und Hasen, die versuchten, was von unseren Tortillas zu stibitzen.

Frage 5: Wie empfange ich das Brautpaar?


aufgemotzte, alte Schulbusse sind hier das Lieblingsfortbewegungsmittel
aufgemotzte, alte Schulbusse sind hier das Lieblingsfortbewegungsmittel
Wir kamen gerade noch rechtzeitig um das Paar noch die letzten Meter zum Altar laufen zu sehen
Wir kamen gerade noch rechtzeitig um das Paar noch die letzten Meter zum Altar laufen zu sehen

Na, gar nicht. Das ist nicht dein Job, also mach dir keine Gedanken; das Brautpaar macht sich hierzu auch keine. Nach unserem zweiten Frühstück verteilte man uns wieder auf zwei Busse und brachte uns zur Kirche. An der Kirche stieg das Brautpaar aus und hastete regelrecht den Gang zum Altar entlang. Interessant, dass sie nicht auf ihre Gäste gewartet haben. Ein Termin ist nun mal ein Termin und wahrscheinlich ist auch hier Zeit gleich Geld.


Frage 6: Wie läuft die Trauzeremonie ab?


Die Zeremonie selbst war eine Mischung aus Messe, Predigt, Gebet und Gesang vom Männerchor. Die Ringe wurden getauscht und man versprach sich ewige Treue und eine große Perlenkette, die um das Brautpaar gelegt wurde, besiegelte den Ehebund. Natürlich wurde auch der Klingelbeutel herumgereicht und das Abendmahl zelebriert. Bis dahin empfand ich diese Eheschließung als ein wenig emotionslos. Auch wenn ich nur wenig von dem verstand, was der Pfarrer so alles gesagt hat, waren die Mienen der Beteiligten ziemlich kühl und keiner weinte oder lachte vor Rührung; die christlichen Riten wurden aber besonders beachtet. Als am Ende der Pfarrer das frischvermählte Paar gesegnet und ihnen gratuliert hatte, brach draußen der Lärm los: Alle schmissen kleine Böller, zündeten Feuerwerkskörper und johlten laut. So feiert man in Guatemala Festlichkeiten jedweder Art: ay caramba!

Frage 7: Gibt es im Anschluss Empfang und Feier?


Ja, die gibt es natürlich. Der Hochzeitssaal befand sich direkt gegenüber der Kirche und hatte viel zu viele Tische gedeckt. Obwohl die Hochzeit, laut meiner Gastfamilie, bereits untypisch groß für guatemalische Verhältnisse sei, so hat das Brautpaar wohl mit noch mehr Gästen gerechnet. Oder aber es waren einfach noch Tische und Stühle übrig.

Frage 8: Wie verhält man sich beim Empfang?


Setz dich einfach hin, wohin du willst und fange direkt an zu essen, sobald es auf den Tisch kommt. Sichere dir davor aber auf jeden Fall noch die Deko, die du mitnehmen möchtest. Ganz recht, nicht erst nach den Feierlichkeiten, sondern davor schon. Schließlich könnte das beste Stück ja schon weg sein, wenn man zu gehen beschließt. Packe auch während des Essens so viel wie nur möglich in mitgebrachte Tupperdosen, damit du auch zuhause noch von der Hochzeit zehren kannst. … Ich hatte sehr viel Spaß, den Frauen auf der Hochzeit bei all dem zuzusehen.

Frage 9: Gibt es auch Musik?


Klaro. Auf einmal ertönte laut „My Heart will go on“, aber in Spanisch. Der erste Tanz wurde eingeläutet. Der gebührt aber nicht dem Bräutigam: den ersten Tanz schenkt die Braut ihrem Vater. Erst danach durfte der Bräutigam auch eine flotte Sohle aufs Parkett legen (Man beachte bitte die Tanzhaltung. Hier sieht man, wer in der Beziehung die Hosen an hat). Nach dem Tanz haben alle eine lange Schlange gebildet, um ihre Geschenke zu überreichen und dem Brautpaar alles Gute zu wünschen. Es gab keine Ansprachen oder ähnliches. Überhaupt hab ich das Brautpaar nur einmal kurz in der Kirche reden gehört. Ansonsten wurden die Festivitäten von einem DJ geleitet. 

Frage 10: Was wird bei einer Hochzeit serviert?


Es gab Hähnchen mit Reis und, wie könnte es auch anders sein, Tortillas. Alkohol gab es übrigens keinen. Wir bekamen zwar einen Schluck von etwas Süßem mit einer Kirsche im Sektglas serviert, aber so lecker es auch war, es war weit entfernt von Prozenten. Das Essen verlief eher gehetzt. Sobald man den Teller vor sich hatte wurde losgeschaufelt. Zwischendurch landete etwas in der mitgebrachten Tupperdose. Dann wurde ALLES abgeräumt. Auch die Gläser. Da aber noch Getränke auf den Tischen standen, wurden einfach Becher verteilt (kurzer Nebenhinweis: San Pedro hat Strohhalme verbannt und möchte keine Plastiktüten mehr benutzen, um die Umweltverschmutzung geringer zu halten....hm..... Styroporbecher zählen wohl nicht dazu). 

Frage 11: Gibt es die berühmte Hochzeitstorte?


Die ist ja zum Glück ein Muss. Zuerst posierte das Paar für die Kamera vor dem Kuchen: ein Küsschen hier, ein Herzchen da. Ohne großes Trara wurde die Torte dann angeschnitten und verteilt. Lecker war die aber schon….wie alle Hochzeitstorten eben.


Frage 12: Wie endet die Hochzeit?


Nach der leckeren Torte verteilte das Brautpaar kleine Anstecker. Ein Souvenir von der Hochzeit. Sie nahmen sich wirklich Zeit, um an jedem Gast persönlich den Anstecker anzubringen und ein paar nette Worte zu sagen. Ich bekam auch eins! Das fand ich wirklich schön und man fühlt sich direkt integrierter. Im Anschluss wurde noch kurz mit dem Brautpaar für die Kamera posiert und dann war alles auch schon vorbei. Die ganze Hochzeit dauerte nur etwa vier Stunden lang. Es gab keine Reden, kein richtiges Tanzen, keinen Alkohol und keine Spiele... die Kinder räumten die Tische ab und die Mütter sammelten die Blumen ein. Es war auf jeden Fall ein sehr interessantes, unspektakuläres Spektakel.

Ich bin sehr dankbar, dass ich bei dieser Hochzeit dabei sein durfte und erleben konnte, wie unterschiedlich Menschen den Bund der Ehe begehen. Es war ein sehr ungewöhnlicher und ein sehr schöner Tag mit wundervollen, herzlichen und aufgeschlossenen Menschen! 

 

Warst du auch schon einmal bei einer internationalen Hochzeit zu Gast? Wie waren deine Erlebnisse? Ich freue mich auf deinen Kommentar!


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Kommentare: 2
  • #1

    Holgolumbien (Mittwoch, 19 Juli 2017 20:44)

    Wie immer super und interessant geschrieben! ... Ich komm aber nicht über die pinkelnde Oma hinweg. D:

  • #2

    Cori (Donnerstag, 20 Juli 2017 05:33)

    Vielen lieben Dank!
    Ja, meine Gastmutter war der Knaller! Sie hat das an dem Tag sogar noch ein zweites Mal gebracht.... Dieses Mal kurz vorm Einsteigen in den Bus bei der Rückfahrt. Diese Frau kennt wirklich keine Scham xD